»Pubertät: Hot oder not?«, »No Shame in my Game: Die genialen Genitalien« oder »Gönn dir: Solosex«.1 Solche oder ähnliche Formulierungen, die unverblümt das Sexuelle ansprechen, finden sich heute vielfach in Aufklärungsbüchern für Jugendliche. Sexualaufklärung soll unverkrampft und lustbejahend, möglichst diskriminierungsarm und die Vielfalt von Sexualität und Geschlecht betonend daherkommen sowie Jugendlichen eine selbstbestimmte und befreite Sexualität eröffnen. Schauen wir mit der titelgebenden Redewendung der 100. Ausgabe der Zeitschrift RISS – »Ohne Gewähr« – auf dieses Phänomen, verliert der emanzipatorische Anspruch jedoch an Gewicht.
»Ohne Gewähr« spricht das Unmögliche an. »Ohne Gewähr« bringt zum Ausdruck, dass nicht alles verfügbar, realisierbar oder gar kontrollierbar ist. Angesichts einer die Gegenwart zunehmend beherrschenden Verhandlungsmoral und eines weit um sich greifenden Optimierungsimperativs erscheinen Ungewissheit, Konflikthaftigkeit, Nicht-Passung, Widersprüchlichkeit, insbesondere in Bezug auf Sexualität und Geschlecht, als etwas, das es zu überwinden gilt. In gegenwärtigen Debatten um Sexualität und Geschlecht lässt sich ein selbstreferentielles, auf Selbstgewissheit, Sicherheit und Kontrolle drängendes Sprechen beobachten, das Irritationen und Missverständnisse weitgehend zu vermeiden sucht und demgegenüber ein möglichst korrektes (fehlerfreies) Handeln anmahnt.
Herauszuhören und abzulesen sind solche Auswüchse beispielhaft aus dem und an dem kürzlich erschienenen Aufklärungsbuch Sex in echt, das Jugendliche (ab 11 Jahren) zu einer selbstbestimmten und befreiten Sexualität befähigen will.2 Wenngleich in diesem Aufklärungsbuch wiederholt für Offenheit plädiert sowie hervorgehoben wird, dass zunächst einmal alles okay sei und sich niemand zu etwas gedrängt fühlen soll, zeichnet sich das Buch durch latente Vorgaben aus, die weit in die Intimität der Subjekte hineinreichen. Das Buch legt ein sich selbst gegenüber transparentes Subjekt nahe, das befähigt zu sein scheint, über das richtige sexualaufklärerische Wissen einen Zugang zu sich selbst finden, sich selbst erschließen und bearbeiten sowie seine sexuelle Lust optimieren zu können. Zielgerichtetheit wie auch eine vermeintliche Eindeutigkeit sexueller Erfahrungen und Phänomene leiten die Auseinandersetzung. Ein Denken und Handeln, die sich an einer Figur des »Ohne Gewähr« orientieren und somit eine »Offenheit für den Zufall« und damit auch für die Unmöglichkeit belassen würden, ist kaum erkennbar.
Deutlich wird dies etwa in der Art und Weise, wie das Buch die Pubertät behandelt. Während auf unterschiedliche Schwierigkeiten hingewiesen wird, die diese Lebensphase für Jugendliche bedeuten kann – zusammengefasst heißt es etwa: »Pubertät kann manchmal echt ein Arschloch sein« –, setzt das Buch auf Problemvermeidung und -lösung: »Wir wollen dich beim lustvollen Kennenlernen deines Körpers und deines Sex’ freundschaftlich begleiten, dir erzählen, wie du Spaß daran haben und Probleme vermeiden oder lösen kannst.«3 Das lösungsorientierte Angebot setzt auf Machbarkeit und Handhabbarkeit. Eine grundsätzliche, die Subjekte prägende Konflikthaftigkeit bleibt unberücksichtigt. Anstatt die Schwierigkeiten und tiefgreifenden Konflikte, die das Heranwachsen und die Adoleszenz für Jugendliche annehmen können, rückgebunden an gesellschaftskritische und -theoretische Annahmen aufzublättern und darzustellen und vor einem solchen Hintergrund zu einer eigensinnigen, subjektiven Auseinandersetzung anzuregen, drängen sich ideologisch gefärbte Vorstellungen und Ansprüche auf. Durch ihren emanzipatorischen Gestus werden diese zugleich zu zielorientierten Vorgaben, die einen Handlungsdruck ins Spiel bringen, dem sich vermutlich nicht gänzlich entzogen werden kann.
In der Diskussion um Geschlecht, die in Sex in echt geführt wird, lässt sich eine solche ideologische Dimension erkennen. Insofern Geschlecht auf eine Frage von Identität und sexueller Orientierung reduziert wird, liegt dem sexualaufklärerischen Programm nicht nur eine verkürzte geschlechtertheoretische Analyse der Gegenwart zugrunde, das Buch gibt den Jugendlichen auch eine spezifische Erfahrungswirklichkeit vor, womit es (vermutlich ungewollt) in neue, jetzt emanzipatorisch gewendete Normierungen kippt. Deutlich wird dies insbesondere an der Verhandlung von trans und cis und damit verbundener Pronomen. Mit der Fokussierung der Geschlechterfrage auf dieses sprachpolitische Phänomen nehmen die Autorinnen Setzungen vor, die das sexuelle und geschlechtliche Erleben selbst normieren. Denn wenn sich Heranwachsende als trans- oder cisgeschlechtlich begreifen sollen, oktroyiert ihnen das eine bestimmte Erfahrungswirklichkeit auf. Sie sollen sich hinsichtlich einer unterstellten (Nicht-)Übereinstimmung von ihren Genitalien mit bestimmten normativen Zuschreibungen begreifen. Warum wir uns aber überhaupt als cis oder trans und somit hinsichtlich solcher einschränkenden und noch dazu geschlechtertheoretisch und -politisch fragwürdigen Konzepte empfinden sollen, scheint angesichts einer zunehmenden gesellschaftlichen Anerkennung solcher Konzepte überhaupt nicht mehr befragenswert. Offen ist dabei auch, inwiefern die Passung und Übereinstimmung von körperlichem Geschlecht mit einer bestimmten geschlechtlichen Identität und die damit unterschwellig angenommene Konfliktlosigkeit bezüglich der eigenen Geschlechtlichkeit, die cisgeschlechtlichen Menschen unterstellt wird, ihrer psycho-somatischen Empfindung und Erfahrung entspricht.4 Insofern allenfalls noch selbsterklärten Trans-Menschen eine Konflikthaftigkeit bezüglich der eigenen Geschlechtlichkeit zugestanden wird, werden anders gelagerte, geschlechtlich begründete Konflikte mit dem eigenen Körper oder der geschlechtlichen Identität zunehmend negiert. Erstaunlicherweise erhalten in Sex in echt Konflikte mit dem eigenen geschlechtlichen Körper oder der Identität denn auch keine weitere Beachtung. Angesichts eines geschlechtlich stark voneinander abweichenden Körperempfindens bei jungen Menschen sowie einer Zunahme von anorektischen Symptomen bei jungen Frauen ist dies durchaus verwunderlich.5 Geschlecht wird ausschließlich als Problem normativer Zuschreibungen betrachtet. Das gesellschaftlich verankerte Geschlechterverhältnis, das auch vor der Ausgestaltung der Jugendsexualität nicht haltmachen wird, gerät in Sex in echt vollkommen aus dem Blick. Interessanterweise wird lediglich in Bezug auf trans und cis von Jungen und Mädchen gesprochen. Im weiteren Verlauf des Buchs tauchen demgegenüber gar keine Mädchen und Jungen mehr auf, vielmehr erfolgt die sexualaufklärerische Diskussion vollkommen geschlechtsneutral.
Die von Sex in echt verfolgte sexualaufklärerische Auseinandersetzung ist meiner Ansicht nach alles andere als eröffnend und emanzipierend, vielmehr schränkt sie eine Erlebnisfähigkeit ein, die die Eigensinnigkeit und Singularität der Subjekte zur Geltung kommen ließe, und verhindert somit eine Auseinandersetzung, die einen offenen Ausgang anvisiert und folglich »ohne Gewähr« ist. Vor diesem Hintergrund hätte eine an psychoanalytisch-pädagogischen Einsichten orientierte Sexualaufklärung sich vielmehr in Zurückhaltung zu üben gegenüber der sexuellen und geschlechtlichen Subjektivierung von Jugendlichen. Zugleich gälte es einen Raum des Sprechens und Nachdenkens zu eröffnen, der zu einer nicht vorgegebenen, sondern eigensinnigen Erlebnisfähigkeit und Erfahrung der Unmöglichkeit befähigt.
Nadine Beck, Rosa Schilling, Sandra Bayer, Sex in echt. Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät, Hamburg 2022, Migo, 21, 35, 53.
Sex in echt ist 2022 erschienen, liegt in der dritten Auflage vor und wurde 2023 in der Kategorie Sachbuch für den Jugendliteraturpreis nominiert.
Ebd., 9.
Bezüglich dieser Frage wären die Befunde der klinischen Psychoanalyse hinsichtlich des geschlechtlichen Empfindens von Jugendlichen äußert interessant und für eine gesellschaftspolitisch zu führende Debatte weiterführend.
Laut der Jugendsexualitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2015 fühlen sich lediglich 47% der Mädchen gegenüber 72% der Jungen in ihrem Körper wohl, während sich 28% der Mädchen und 12% der Jungen als zu dick empfinden und sich 71% der Mädchen und 56% der Jungen gerne stylen. Vgl. Angelika Heßling, Heidrun Bode, Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen. Ergebnisse einer repräsentativen Wiederholungensbefragung, BZgA, Köln 2016, 85. Zur Anorexie als neuer Psychopathologie siehe Massimo Recalcati, Auslöschung des Unbewussten? Eine neue anthropologische Mutation, in Tove Soiland, Marie Frühauf, Anna Hartmann (Hg.), Postödipale Gesellschaft, Band I, Wien 2022, Turia + Kant, 259–290. Hinsichtlich der rasanten Zunahme von Transgeschlechtlichkeit bei Mädchen in den letzten Jahren (vgl. Alexander Korte, Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen aus medizinischer und entwicklungspsychologischer Sicht, in Bernd Ahrbeck, Marion Felder (Hg.), Geboren im falschen Körper. Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2022, Kohlhammer, 43–86 [48]) wäre die Bedeutung, die dem nach wie vor hierarchischen Geschlechterverhältnis in dieser Dynamik zukommt, unbedingt näher zu prüfen.