»Ich weiß, dass ich Sie nicht überzeugen kann. Es liegt außerhalb jeder Möglichkeit und darum auch außerhalb meiner Absicht« (S. 261) heißt es an einer Stelle des fiktiven Gesprächs aus Freuds 1926 verfasstem Text Die Frage der Laienanalyse. Unterredung mit einem Unparteiischen, den er anlässlich einer Anklage seines nichtärztlichen Kollegen Theodor Reik wegen sogenannter Kurpfuscherei seitens der Wiener Behörden verfasst hat. Freud hatte sich zuvor emphatisch mit einem »scharfen Protestschreiben« (S. 206) beim Stadtrat für Gesundheitswesen für Reik eingesetzt und so an der Einstellung des Verfahrens mitgewirkt. Reik erhielt seine Arbeitserlaubnis zurück und durfte weiter als Psychoanalytiker praktizieren. Bis zuletzt hat sich Freud für die Laien(analyse) ausgesprochen und auf die Unabhängigkeit der Psychoanalyse, vor allem gegenüber der Medizin, gepocht.
Vor diesem konkreten, kontextuellen Hintergrund ist seine, wie Freud selbst im Nachwort sagt, »klein[e] Schrift« (S. 321) zu lesen, in der es allerdings nicht allein darum geht, ob Nichtmediziner:innen praktizieren dürften oder nicht, sondern auch um die ganz großen Fragen, die die Psychoanalyse in ihren Grundzügen betreffen – weshalb in dem Text ebenfalls die unzähligen vorgebrachten Vorbehalte, Infragestellungen und Misstrauensattacken gegen Psychoanalyse und der damit verbundene Rechtfertigungs- und Legitimierungsdruck aufgegriffen werden, dem sie (auch heute immer wieder) unterliegt. Freud bringt durch die von ihm fiktionalisierte Figur des Unparteiischen gekonnt und gewitzt all jene Echowirkungen der skeptischen, abwehrenden, manchmal offen feindseligen Haltungen in ironischer Weise zur Sprache und verwickelt diesen in ein Gespräch, das die meisten Analytiker:innen oder von Analyse Affizierten in ähnlicher Weise wohl kennen. Einen Unparteiischen gibt es bezüglich der Psychoanalyse eigentlich nicht nur nicht, weil er hier fiktional im Text auftritt, sondern weil es im Kontakt mit dem spezifischen psychoanalytischen Sprechen und Hören Unparteilichkeit nie zu geben scheint, die (Vor-)Urteile all jener immer schon prompt entgegenschlagen, die sich auf das Novum der Psychoanalyse, dieses eigenartige »Verfahren sui generis« (S. 252), nicht einlassen wollen, das dazu auffordert, von dem sonst eher rationalen, bewussten Denken und Sprechen in Begriffen, Urteilen, Thesen, Überzeugungen usw. abzurücken. Es geht in der Laienfrage also nicht nur darum, wer mit der Gewähr welcher wie auch immer gearteten Autorität und Institution Analyse praktizieren darf, sondern wie die Psychoanalyse selbst Beherrschungs- und Disziplinarlogiken aussetzt und sich (von diesen) freispricht.
Von dieser eigentümlichen, titelgebenden Freiheit der Psychoanalyse geht die Arbeitsgruppe von Analytikerinnen und Analytikern aus Berlin und Paris aus, die Freuds Laien-Text mit diesem Band neu herausgegeben und mit einem ungewöhnlichen, extensiven Glossar, das knapp doppelt so lang wie Freuds Text ist, kommentiert haben. Das Besondere an diesem Glossar ist die Entscheidung, gerade nicht auf die großen bekannten Termini das Augenmerk zu legen, sondern kleine »bedenkenswerte, erstaunliche oder auch unauffällige Worte und Wendungen« (S. 7) in den Blick zu nehmen, die sich nicht theoretisieren lassen, an denen die Beitragenden des Glossars aus unterschiedlichsten Beweggründen Anstoß genommen und die eine lustvollen (Re-)Lektüre des Textes provoziert haben. Kleinigkeiten, unscheinbare Vorkommnisse, Flitterkram, Abhub oder Abort, wie es Freud und Lacan nennen. Eine Leseethik des »Kleinen und Konkreten« (S. 8), wie es bei den Herausgeber:innen heißt.
Dem eigentlichen Glossar und Freuds Text sind im Band zunächst zwei einleitende Texte vorangestellt: zum einen eine sogenannte »Spielanleitung«, die die Herausgeber:innen den Beitragenden für die Kommentierungsarbeit an die Hand gegeben haben. Des Weiteren eine kurze kontextualisierende Auseinandersetzung mit dem Wort »Laie« bzw. »Laienanalyse« und dessen französischsprachiger Übersetzung mit »analyse profane«. Hier wird nicht nur die immer schon, 1926 wie auch heute, auf dem Spiel stehende (Un)Institutionalisierbarkeit der Psychoanalyse, ihre fundamentale Laienhaftigkeit, reflektiert und unterschiedliche Ausprägungen ihrer Entwicklungen in Deutschland, Österreich und Frankreich berücksichtigt, sondern auch eine grundlegende Verunsicherung hinsichtlich der Frage, wer oder was ein Laie (in der Analyse) überhaupt sei, beleuchtet.
Die Anstiftung, mit und auf dem Freud’schen Text zu spielen, drückt sich in einer Verbindung aus spezifisch psychoanalytischem Zuhören, das im passenden, rhythmisch abgepassten Moment, taktvoll, zu intervenieren weiß, mit der von diesem Hören affizierten Lektüre aus. Das klingt in der eingangs beigefügten Spielanleitung dann folgendermaßen:
Schreiben Sie so, wie Sie der Rede eines Analysanden zuhören würden: mit möglichst gleichschwebender Aufmerksamkeit, mit der Nachlässigkeit, die es erlaubt, die Gewichtungen, die im Sprechen der Rede voller Bewusstsein gegeben wird, einzuklammern; mit dem Gespür, das Wörtern, Begriffen, Pausen, Seufzern dieselbe Aufmerksamkeit widmet; mit Augenmerk aufs Detail, auf der unscheinbaren Kleinigkeit in Abweichung, dem unterschwellig Insistierenden, dem sich in schreiender Offensichtlichkeit Verbergenden. (S. 7)
Das Glossar besteht ausgehend davon aus Notaten zu Wörtern, Wendungen, Halbsätzen – in einem Lemma auch bloß zu einem Buchstaben (»g«) –, mit denen sich die Beitragenden auf sehr unterschiedliche Weise Freuds Text genähert haben. Es gibt Lemmata, die sich einer wortwörtlichen Wörterbuchwälzerei wonnevoll hingeben, wie etwa »Erzherzoginnen«, »garstig: Angelegenheiten des Geschlechtslebens«, »garstig: deuten«, »Kümmern« und »Rindenschicht« von Britta Günther oder »Intimitäten« von Édith Béguin und »Takt, Technik« von Derek Humphreys. Wieder andere beleuchten eher Kontextuelles, wie der Beitrag Mai Wegeners, in dem sie der Personalie Theodor Reik und dessen Anklageverfahren nachgeht oder derjenige Marcus Coelens, der auf die verschiedenen Institutionalisierungsbewegungen und deren Gründungsakte(n) – als Handlung und Verschriftlichung – eingeht, insbesondere die Gründung der École freudienne de Paris 1964 durch Lacan. Es gibt auch durchaus kuriose Zusätze wie beispielsweise Jonathan Schmidt-Dominés Ausführungen zur Österreichischen Militärstrafgesetzgebung von 1855 oder Judith Kaspers Spurensuche zu einem in Freuds Text auftauchenden, italienischen Schild, das in schlicht-trockener Knappheit vor Stromschlägen warnt (»Chi tocca, muore«), was im starken Kontrast zum österreichischen Pendant (»Das Berühren der Leitungsdrähte ist, weil lebensgefährlich, strengstens verboten«, S. 305) steht. Dieser Vergleich gibt Kasper Anlass, um den einander entgegenstrebenden Modi von Reglementierung, Verbot, Bevormundung einerseits und Aufklärung und Mündigkeit der Analysanten andererseits, nachzugehen. Letzteres dient gerade Freud auch in Die Frage der Laienanalyse als gewichtiges Argument, um die vermeintliche Gefahr, die von der Praxis nichtärztlicher Analytiker ausgehen könnte, zu entkräften:
Lassen wir die Kranken selbst die Entdeckung machen, dass es schädlich für sie ist, seelische Hilfe bei Personen zu suchen, die nicht gelernt haben, wie man sie leistet. Klären wir sie darüber auf und warnen sie davor, dann werden wir uns erspart haben, es ihnen zu verbieten. (S. 304f.)
Von besonderem Interesse ist auch ein seltsam beschwichtigender, ironisch bissiger und durchaus problematischer Satz in Freuds Text, der die potenziellen Laienanalytiker:innen näher bestimmt und besonders viele Kommentare provoziert hat:
Auch sind ja die Laienanalytiker, die heute Analyse ausüben, keine beliebigen, hergelaufenen Individuen, sondern von akademischer Bildung, Doktoren der Philosophie, Pädagogen und einzelne Frauen von großer Lebenserfahrung und überragender Persönlichkeit. (S. 314)
Es gibt Einträge zu »Einzelne Frauen«, »erfahren«, »keine beliebigen hergelaufenen Individuen« und »Philosophie«.
Die obige Aufzählung überschneidet sich auf fast schon komische Weise mit der Zusammensetzung der Autor:innen (die nicht alle, nähme man die Ankündigung des Klappentextes allzu österreichisch-streng, praktizierende Analytiker:innen sind). Und es ist auch eine der großen Stärken des Bandes, nichts zu streng zu nehmen und doch dabei den Ernst des eigentümlichen Spiels im psychoanalytischen Hören, Sprechen und Lesen weiterzutreiben und, wie auch Freud in Die Frage der Laienanalyse, eigentlich Unmögliches zu wagen: den Versuch, Psychoanalyse außerhalb der konkret erlebten und erfahrenen Kur Dritten (hoffentlich möglichst Unparteiischen) spürbar zu machen und näherzubringen.