RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse. Nr. 100: Ohne Gewähr. Hg. v.
Camilla Croce
Judith Kasper
Karl-Josef Pazzini
Mai Wegener
, 154160 (ISBN: 978-3-911681-02-5, DOI: 10.21248/riss.2024.100.62).
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Skibidi Toilet: Geburtstagsgrüsse aus dem Orkus

Skibidi Toilet : Salutations d’anniversaire de l’Orkus

Skibidi Toilet: Birthday greetings from the Orcus

Olaf Knellessen

Skibidi-Toilet ist ein viraler Medienhype, der im Februar 2023 aufkam. Die Hauptfigur, eine Toilettenschüssel mit einem menschlichen Kopf, tanzt und singt zu "Dom Dom Yes Yes" von Bisser King. Die Videos, die von Alexej Gerasimov erstellt wurden, zeigen diese Toiletten in absurder Freiheit und mit witzigem Unsinn, die von Cyborgs mit Monitoren oder Kameras als Köpfen bekämpft werden.

Die Figur der Doppel-Null, "00", symbolisiert sowohl Unordnung als auch die „licence to kill“ und stellt das Unsinnige in den Vordergrund. Die Videos reflektieren tiefere menschliche und kulturelle Dynamiken, indem sie Freiheit, Unsinn und das Unbewusste inszenieren, ähnlich wie die psychoanalytische Praxis.

Knellessen ruft dazu auf, die Strenge der Psychoanalyse zu durchbrechen und mehr Freude und Freiheit zuzulassen. Die Skibidi-Toilets demonstrieren, dass Lust und Unsinn im Alltag Platz haben sollten und ermutigen dazu, das Leben ausgelassener und weniger ernst zu nehmen.

Skibidi-Toilet est un battage médiatique viral qui a vu le jour en février 2023. Le personnage principal, une cuvette de toilettes avec une tête humaine, danse et chante sur "Dom Dom Yes Yes" de Bisser King. Les vidéos, réalisées par Alexej Gerasimov, montrent ces toilettes d’une liberté absurde et d’une absurdité amusante, combattues par des cyborgs avec des moniteurs ou des caméras en guise de têtes.

La figure du double zéro, "00", symbolise à la fois le désordre et la "licence to kill" et met l’accent sur le non-sens. Les vidéos reflètent des dynamiques humaines et culturelles plus profondes en mettant en scène la liberté, le non-sens et l’inconscient, à l’instar de la pratique psychanalytique.

Knellessen appelle à rompre avec l’austérité de la psychanalyse et à laisser s’exprimer davantage de joie et de liberté. Les Skibidi-Toilets démontrent que le plaisir et le non-sens devraient avoir leur place dans la vie quotidienne et encouragent à prendre la vie de manière plus exubérante et moins sérieuse.

Skibidi-Toilet is a viral media hype that emerged in February 2023. The main character, a toilet bowl with a human head, dances and sings to "Dom Dom Yes Yes" by Bisser King. The videos, created by Alexei Gerasimov, show these toilets in absurd freedom and with witty nonsense, fought by cyborgs with monitors or cameras as heads.

The figure of the double zero, "00", symbolises both disorder and the "licence to kill" and places the nonsensical in the foreground. The videos reflect deeper human and cultural dynamics by staging freedom, nonsense and the unconscious, similar to psychoanalytic practice.

Knellessen calls for breaking through the rigour of psychoanalysis and allowing more joy and freedom. The Skibidi toilets demonstrate that pleasure and nonsense should have a place in everyday life and encourage people to take life more playfully and less seriously.

Skibidi-Toilet ist ein medialer Hype, der im Februar 2023 viral wurde. Hauptfigur ist eine WC-Schüssel, aus der ein menschlicher Kopf auftaucht, seinen Hals in die Höhe reckt, sich um sich selbst dreht, offensichtlich diese Freiheit geniesst und dabei einen Auszug aus dem Song Dom Dom Yes Yes von Bisser King singt: einem Ohrwurm, der ebenfalls ansteckend ist, den man in den nächsten Tagen kaum mehr los wird. Die toilet ist auch das WC, ist auch die Doppel-Null. Wie kommt es zu diesem »00«?

Die Geschichte erzählt, dass schon in den ersten grossen Hotel-Anlagen die Zimmer durchnummeriert wurden – Ordnung muss sein –, die Toiletten aber nicht als Zimmer galten und deshalb die Ziffer »00« bekamen. Die Doppel-Null ist nicht nur, wie wir von James Bond wissen, die licence to kill, sie ist als Doppel-Nichts auch der Unsinn par excellence.

Und der treibt in den Videos von Skibidi-Toilet sein Unwesen ohne Ende. Die Toilets tauchen überall auf, sie fahren Aufzug, cruisen durch Restaurants, sie können fliegen und Fahrradfahren, sie machen Wirbel und verursachen Aufruhr, sie singen und singen, tanzen und tanzen auf der Nase herum, stellen die Dinge auf den Kopf. Das kann so nicht bleiben, wo führt das hin? Da müssen Massnahmen ergriffen werden. Die Widersacher marschieren auf, Figuren, Cyborgs, die anstelle des Kopfes Monitore, Kameras oder andere elektronische Gadgets tragen. Und was müssen die tun, um den Virus zum Verschwinden zu bringen? Klar: Die Spülung betätigen – zurück in den Orkus mit dem Quatsch, diesem Unsinn!

Wilde Szenen, Kampfszenen reihen sich aneinander, überschlagen sich und dennoch fangen die Cyborgs ebenfalls an zu tanzen, als wären sie angesteckt von dem wilden Treiben der Toilets. Es wogt hin und her, geht auf und ab: Wieder eins aufs Dach, zurück ins WC, in die Niederungen, dann wieder raus aus der Schüssel, aus der Unterwelt, weiter singen und tanzen und tanzen, auch wenn der Song manchmal schwerer und schleppender wird. Die Massnahmen gegen die Skibidis werden drastischer, Helikopter, Bomben, Laserstrahlen kommen zum Einsatz, die Lage wird düsterer, Untergangsstimmung breitet sich aus. Immer wieder die Spülung ziehen und weg damit – was machen wir da eigentlich?

Auf jeden Fall ist es so, als ob Alexej Gerasimov das Exposé zu diesem 100. Heft des RISS mit dem Titel Ohne Gewähr gesehen hätte. Wenn es dort heisst: »Die Psychoanalyse rührt an mächtige Dynamiken des Unbewussten (…), ohne sie beherrschen zu können«, dann schreibt das Magazin Dazard, »Skibidi Toilet (sei) hektisch, unvorhersehbar, lustig und manchmal wirklich beunruhigend«. Und wenn das Exposé auf Freuds Formulierung Bezug nimmt »Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus«, würde Skibidi Toilet hinzufügen: Es kommt aus dem Abort, dieses Ich.

Alexej Gerasimov war vom Erfolg seiner Clips – von Februar bis September 2023 hatten sie mehr als 12 Milliarden Views –, die zwischen 30 Sekunden und 3 Minuten dauern, selbst vollkommen überrascht und meinte dazu, dass nichts hinter diesen Videos stehe, sie keine tiefere – sic! – Bedeutung hätten, eine politische Botschaft gebe es nicht. Die Filmchen seien, sagt er an anderer Stelle, Lückenfüller gewesen, weil er sich überlegt habe, was er als Nächstes auf YouTube präsentieren könne. Na ja, mit den Lückenfüllern sind wir bei den Lücken und nicht weit weg von den RISSEN. Wahrscheinlich war das also schon als Geburtsgruss gedacht, wozu man nur gratulieren kann.

Die Doppel-Null, 00, multipliziert das »keine Bedeutung«, und das WC ist der Ort, an dem wir uns als Abfall haben, ist der Ort, auf den wir uns zurückziehen für den Unsinn, der im Sinn nicht aufgeht, an dem wir uns vom Sinn und seiner Welt distanzieren und uns über ihn lustig machen können. Und natürlich ist der Abfall, den wir dort produzieren, das, von dem wir nichts wissen wollen – und es hinunterspülen –, das aber zu uns gehört, das uns zudem sehr wichtig ist – auf jeden Fall sehr wichtig war. Zu ihm haben wir das Verhältnis des Ekels, dieses unauflösbare Gemisch von Abstossung und Anziehung. Und wenn Julia Kristeva das Abjekt als eigenständiges Phänomen heraushob, hat sie damit unterschlagen, dass es ja Teil des Objekts überhaupt ist, dass es Teil des Dings ist, wie die Psychoanalyse es beschreibt: als im Schnittpunkt von Begehren und Schrecken stehend, als Fetisch, der Zeichen für den Abgrund ebenso ist wie dessen Überhöhung in der Schönheit, und der Lust, die ihrerseits die Kehrseite der Angst ist. Ekel, das hat sie auf jeden Fall betont, ist nicht einfach ein Gefühl, sondern die Struktur der Beziehung zum Objekt.

Skibidi Toilet führt alle Seiten dieses obscur objet du désir vor, und man kann ihm wirklich nicht vorwerfen, eindeutig und widerspruchslos zu sein, es zeigt sich vielmehr immer wieder von seiner Kehrseite, die ja ohnehin zum Abort gehört, der Kehrseite ist, die andere Seite von uns, das Hinten, der Ausgang. Dass der Abfall, den man dort produziert, sehr wertvoll sein kann, hat eine künstlerische Intervention an der Kehrichtverbrennungsanlage in Winterthur in Szene gesetzt. Die Künstlerin Katja Schenker hat um das Gelände einen projektierten Drahtzaun so errichten lassen, dass er nicht in gerader Linie entlang der Strasse und des Fussgängerstreifens verläuft, sondern immer wieder so stark eingebeult worden zu sein scheint, als ob man ihn mit einem Lastwagen hätte durchbrechen wollen. Kerberus – so heisst diese Installation und verweist damit auf den Höllenhund, der in der Mythologie den Eingang zur Unterwelt nach aussen und nach innen bewacht – macht deutlich, dass da Wertvolles eingeschlossen ist, dass es da was zu holen gibt. Das Geschäft mit dem Abfall ist ganz sicher nicht nur in der Schweiz ein sehr lukratives. Bisweilen wird er mehrmals quer durchs ganze Land transportiert.

So ist es mit dem Gold und mit dem Shit. Soll das Gold der Analyse im stillen Örtchen des Sprechzimmers bleiben und von Kerberus, dem klassischen Setting, weiter bewacht werden? Das ist doch die Frage, die uns vom RISS gestellt wird. Skibidi Toilet meint dazu: Auf keinen Fall, ganz im Gegenteil. Sollten die Analytikerinnen nicht viel mehr tanzen und singen, sollten sie nicht häufiger die Zunge rausstrecken, den Gewährsleuten und -gesetzen wie auch ihrer eigenen Innung? Sollten sie nicht Skibidi-Analytiker werden und sich immer wieder wegspülen?

Die Skibidis haben nämlich ihre stillen Örtchen, die toilets, längstens frei- und rausgelassen. Die cruisen vergnügt durch die Stadt, treiben ihren Unfug in der Turnhalle, überqueren bei Rot die Strasse, marschieren Respekt einflössend in Reih und Glied auf den Prachtstrassen auf, schiessen plötzlich hinter der Ecke hervor, kommen durch die Luft und rauschen vorbei, unheimlich und doch schon so vertraut, als gehörten sie dazu, und immer geht der Deckel auf und der Kopf schiesst hoch, ausgelassen, übermütig scheint er, dreht sich, beugt sich halsbrecherisch über den Rand und alles im Rhythmus des Songs, der uns längstens belagert, der gar nicht aufhört, um uns und in uns zu tanzen, und dann kommt die Hand, die schwarze Hand, haut auf den Kopf und zieht die Spülung, zackbums ist er weg, aber kommt schon wieder, aus der nächsten Kurve, im nächsten Clip, der Song braust auch schon wieder an und reisst uns mit, und natürlich wird der Kampf düsterer, die Waffen werden grösser und mächtiger, auch die toilets scheinen manchmal zu wachsen, um imposanter und wehrhafter zu werden, dann aber schiessen sie wieder aus den Ritzen, klein und schnell, kreuz und quer, nicht zu halten, nicht zu bremsen. Und trotzdem scheint es immer mehr dem Untergang zuzugehen, die Dinge explodieren, Action ist angesagt und wer weiss, wo es hingeht. Also raus mit der Analyse und den Analytikerinnen aus den Sprechzimmern, auf die Strasse mit ihnen und dort weiter wirbeln, lachen, lachen und die Dinge auf den Kopf stellen und auf den Hintern legen …

Aber eines bleibt: Die Skibidis sind nicht totzukriegen, der nächste Clip, der nächste Lacher Dom, Dom, Dom, Yes, Yes kommt bestimmt und vor allem haben die Filmchen längstens Ableger bekommen, wehe, wenn sie losgelassen werden, meinte schon der Zauberlehrling. Aber Alexey Gerasimov dürfte Spass daran haben, wie sich der Song ausbreitet und neue Clips und neue Ideen, neue Formen und Formate inspiriert, von denen eines die Lust am Tanzen, am Singen und am Ganzen in wahrstem Sinn des Wortes überbordend zur Aufführung bringt: Wunderschöne Szenerie, es könnte die türkische Riviera sein, ein durchaus gut beleibter Mann mit Bärtchen und Sonnenbrille, mit einem roten Fes und kurzen Hosen, er würde dem Michelin-Männchen alle Ehre machen, tanzt zu dem Song, Bauchtanz: leichtfüssig und flüssig, so dass der Rhythmus in seine Bewegungen übergeht und seine Fett-Ringe im Rhythmus wabern lässt – grossartig, mitreissend, alle gängigen Vorstellungen von tanzenden Schönheiten weit hinter sich lassend, ein wunderbares Bild, das ebenso ansteckt wie der Song, wie die Clips und der Übermut der Skibidi Toilets. Take That kann man da nur sagen …

Das geht also über sich hinaus, nicht nur raus aus dem stillen Örtchen, sondern in andere Kanäle, auf andere Bühnen, in andere Medien und Formate. Und wenn man in der Psychoanalyse die Sache mit der Sexualität und mit der Lust – und das Getöse und die Kämpfe, die sich darum ranken – nicht mit Regulierungen zuschütten lassen möchte, wenn Psychoanalytiker weiter auf das Subjekt wetten sollen, dann führen uns die Skibidis vielleicht vor, dass es sogar mehr Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker gibt, als sich in den ein- und ausschlägigen Gesellschaften und Instituten zusammentun. Wenn Joseph Beuys sagte, dass jeder Mensch ein Künstler sei – und so beispielsweise alle bei der Aufnahmeprüfung Abgelehnten zum Studium in der Kunstakademie aufnahm –, dann wischen die Skibidis mit Schwung singend und tanzend die Anmassung vom Tisch, die Psychoanalyse sei den Psychoanalytiker_innen vorbehalten. Mit ihrer Lust auf jeden Fall können sie anstecken, was schon mal nicht wenig ist. So gesehen wäre die Laienanalyse dann nicht nur eine, die sich in der Entscheidung zwischen Mediziner*innen und Psycholog/inn/en stellt, die sich inzwischen auf das Spektrum von therapeutischen Disziplinen und den Kulturwissenschaften ausgeweitet hat. Vielleicht weist uns dieser Skibidi-Toilet Hype – der vielleicht an der Geburtstagsfeier des RISS schon wieder untergegangen und im Orkus verschwunden sein könnte und dürfte, was ja nicht so schlimm wäre und ihn nicht schlechter machen würde – darauf hin, dass dieses Ringen des Subjekts und um das Subjekt auf inzwischen vielen Bühnen und in immer wieder neuen Formaten und Medien ausgetragen und inszeniert wird. Vielleicht grinst die Laienanalyse inzwischen auch aus den Knopflöchern der Video-Clips.

Da weitet sich die Gewähr und ihre Ordnung. Sie wird durchlöchert mit dem »00«, das ja zudem die licence to kill ist. So wird von den Skibidis die Gewähr durch das Gewehr ergänzt, durch die Schüsse, welche die Gewähr durchlässiger machen, Risse und Löcher entstehen lassen. Die Gewähr braucht – wie sich hier umwerfend zeigt – ihre «Schlupf-Löcher», die Pfeile und Schüsse ins Herz, so wie Freud es am Schluss von Zeitgemässes über Krieg und Tod schrieb: »Si vis pacem para bellum« oder zeitgemäss verändert: »Si vis vita para mortem«.1

Vielleicht dienen dazu auch die Lochkarten, und wer weiss schon, ob diese Geburtsgrüsse für den RISS nicht von Chat-GPT geschrieben wurden und ihm wünschen, dass er die Geister, die er rief, nie wieder los wird, dass sie ihm um die Ohren und auf der Nase tanzen, den Gewahrsam stören und so ohne Gewähr bleiben – aber mit Gewehr.

Der Hinweis auf die Skibidi-Toilets kam von einer Einsendung an die Traumstation des Missing Link und der Tip zum roten Fes von Sydney, meiner Enkelin – ganz herzlichen Dank! Deshalb ist Skibidi Toilet ihr gewidmet.

Anmerkungen

1

Sigmund Freud, Zeitgemässes über Krieg und Tod (1915), Gesammelte Werke X, Frankfurt am Main 1946, Fischer, S. 323-355, S. 355.