In den letzten Jahren hat die Lacanian School of Psychoanalysis (LSP) in Kalifornien einen internen Dialog geführt. Ausgelöst wurde dieser Dialog durch ethische Bedenken über das Verhalten eines leitenden Praktikers der Schule, die in die Forderung der Mitglieder mündete, einen ständigen Mechanismus zu schaffen, mit dem solche Bedenken in Zukunft adressiert werden können. Damit wurde eine breitere Diskussion über die Funktion einer Schule für Psychoanalyse angestoßen und es wurden Fragen aufgeworfen, die den Kern unserer Praxis treffen. Heute ist die LSP zu einer zweifachen Formulierung der ethischen Antinomie gelangt, die einer Schule für Psychoanalyse zugrunde liegt.
Die erste Dimension ist die Annahme einer negativen Ontologie: der Mangel an einer Gewährleistung. Die zweite ist ein ethischer Imperativ: die Gewährleistung eines Mangels.
Der ethische Imperativ der Schule besteht darin, den Mangel an einer Gewährleistung zu gewährleisten. Oder anders ausgedrückt: Eine Schule der Psychoanalyse muss eine Gemeinschaft um die Nichtexistenz des Anderen herum erhalten.
Was ist diese Gewährleistung, die nicht existiert? Ihre prototypische Erscheinungsform ist, wie ich zeigen möchte, eine spezifische Mobilisierung des Namens. Um ihre Funktion verständlich zu machen, betrachte man diese drei hypothetischen Beispiele, die wir im Berliner Alltag hören könnten:
Dieses Wochenende werde ich in den Club gehen, weil ich mich genießen will. Und ich habe es nicht nur verdient, mich zu genießen (schließlich habe ich mich diese Woche bis auf die Knochen abgearbeitet), sondern ich werde im Berghain, dem pulsierenden Herzen der schwulen Clubkultur in Berlin, feiern, weil es wichtig ist, an der queeren Gegenkultur teilzuhaben – besonders heute, wo Homophobie und Transphobie auf dem Vormarsch sind. Ich muss es wissen: Als schwuler Mann habe ich diese Gewalt am eigenen Leib erfahren.
In Gender Trouble argumentiert Judith Butler, dass Geschlecht performativ ist.
Ich bin Analytiker der Lacanian School of Psychoanalysis.
Einige Namen (z. B. der Markenname »Berghain«) sollen garantieren, dass ich mich auf eine bestimmte Art und Weise genieße, und sie sollen sogar gewährleisten, dass die Art und Weise, wie ich mich genieße, bedeutsam ist (d. h., ich genieße im Namen dieser Politik oder dieser Werteordnung, sogar im Namen des Genusses selbst als Wert).
Manchmal erfüllt »Erfahrung« eine ähnliche Funktion. Das ist der Fall, wenn ich die Souveränität meines Selbstverständnisses im Namen meiner eigenen Erfahrungen behaupte (z. B. als »schwuler Mann«, als Individuum mit einer einzigartigen Lebensgeschichte oder als Mitglied einer bestimmten Gesellschaftsgruppe). Hier kann die Berufung auf die Autorität der Erfahrung davon ablenken, mein Selbstverständnis in Frage zu stellen. Mit anderen Worten, sie versucht, die Sicherheit und Transparenz meines Wissens über mich selbst zu gewährleisten.
Oder in Form eines Zitats (und z. B. des Eigennamens »Butler«) übertrage ich die Autorität der Rede anderer auf meine eigene, und garantiere so den Wahrheitswert des Wissens, das ich im Namen eines anderen behaupte. Durch ein Zitat kann ich mich dann auch dem Wertediskurs anschließen, für den der Eigenname steht (z. B. »Feminismus im Sinne Butlers«) und meine Zugehörigkeit zu einer imaginären Gemeinschaft von anderen (z. B. »Feministinnen«) gewährleisten.
Alle Namen in diesen Beispielen werden auf sehr unterschiedliche Weise als Signifikanten der Autorität verwendet. Die Funktion dieser »Namen der Autorität« ist es, die Konsistenz verschiedener Dimensionen meines Seins zu gewährleisten: die Werte, an die ich glaube, meine Qualifikationen zu sprechen, meinen Platz in einer Gemeinschaft, meine Art des Genusses sowie meines Wissens über mich und die Welt. Autorität ist performativ: Sie existiert durch die Berufung (invocation) auf die Namen der Autorität. Und sie wird erst dann gesellschaftlich wirksam, wenn andere auch ihren Namen anerkennen und an ihre Autorität glauben. Aber in der Tat hat die Autorität keine stabile Grundlage.
Was hat das alles mit der Ethik einer psychoanalytischen Schule zu tun? Nun kommen wir zu meinem letzten Beispiel (»Ich bin Analytiker der Lacanian School of Psychoanalysis«). Denn die Ausbildung des Psychoanalytikers ist von diesem Paradox der Autorisierung nicht ausgenommen.
»Psychoanalyse« kann als Name der Autorität fungieren, wenn er zu einem Titel wird, der von einer Schule verliehen wird, die sich in der Position des sujet supposé savoir befindet. Es wird angenommen, dass eine solche Schule »weiß«, wie man einen Psychoanalytiker erkennt. Die Mitgliedschaft gilt dann als »Beweis« für die Position eines Subjekts als Analytiker oder als Gewährleistung für seine Ausbildung. Aber alles, was eine solche Schule hervorbringen kann, sind imaginäre Psychoanalytiker, die den Mangel im Anderen durch eine Logik der gegenseitigen (Fehl-)Anerkennung überdecken: Ich nenne mich selbst Psychoanalytiker, weil ich zu einer psychoanalytischen Schule gehöre, die aus anderen besteht, die sich nach der gleichen Logik Psychoanalytiker nennen, als Psychoanalytiker anerkannt werden!
Diese Struktur, die das Sein des Psychoanalytikers gewährleisten soll, verleugnet die Unmöglichkeit einer solchen Gewährleistung, deren Anerkennung eine Voraussetzung und Bedingung für unsere Praxis ist.
Psychoanalytiker müssen darum wissen, dass es keine Gewährleistungen gibt, denn die Erfahrung des Unbewussten zeigt, dass der Andere nicht existiert. Die Psychoanalyse bringt uns an den Punkt, an dem wir der Illusion unserer ontologischen Konsistenz begegnen können: Sie ist die Erfahrung, die uns in die Grundlosigkeit der Autorität, in die Andersartigkeit der Namen, in die Listen des Anderen und in die Geschichte unserer Fehlerkennungen eintauchen lässt.
Diese Erfahrung führt uns zu der Annahme einer negativen Ontologie in der LSP: der Mangel an einer Gewährleistung.
Und diese negative Ontologie führt direkt zu dem ethischen Imperativ, den ich jetzt neu formulieren werde: Eine Schule der Psychoanalyse ist dafür verantwortlich, ein Erlebnis des Mangels an einer Gewährleistung in der Ausbildung eines Analytikers zu gewährleisten. In der Psychoanalyse ist das Wort für »den Mangel an einer Gewährleistung« die Kastration.
Die Schule der Psychoanalyse muss die Erfahrung der Kastration gewährleisten. Ein Psychoanalytiker ist jemand, der aus seiner eigenen Kastrationserfahrung heraus ein savoir-faire kultiviert hat. Ein Psychoanalytiker muss dieses savoir-faire – dieses »gewußt wie«, obskure Fähigkeit mit der Kastration umzugehen – entwickeln, damit er später dazu beitragen kann, die Bedingungen zu schaffen, unter denen ein Analysand eine Erfahrung der Kastration machen kann, indem er selbst die Fantasie der Autoritätsnamen durchquert.
Letztlich kennzeichnet dieses savoir-faire einen Psychoanalytiker als Psychoanalytiker, aber es ist weder ein abstraktes Wissen, das von einem anderen reproduziert werden kann, noch ein supposé savoir, das der Schule zugeschrieben werden kann. Es ist singulär in der Erfahrung jedes Subjekts mit seiner eigenen Analyse. Es kann daher nicht durch ein objektives Maß validiert oder durch ein standardisiertes Prüfungsverfahren getestet werden. Da es weder unterstellt noch verifiziert werden kann, muss das savoir-faire eines Analytikers demonstriert werden.
In einer psychoanalytischen Schule demonstriert ein Subjekt vor den Mitgliedern, auf welche ihm eigene Weise seine Kastrationserfahrung zum Begehren des Psychoanalytikers geführt hat. Die anderen hören dann, wie er oder sie die Beziehung zwischen der Singularität eines Erlebnisses und dem transindividuellen Begehren des Analytikers entfaltet. Ein solche Demonstration erfolgt durch das Sprechen von der Erfahrung des Unbewussten her, was sich grundlegend von der Behauptung transparenter Selbsterkenntnis im autoritativen Namen der Erfahrung unterscheidet.
Paradoxerweise ist das einzige »Maß« für dieses savoir-faire, der einzige Beweis für die Kennzeichnung eines Psychoanalytikers, seine Unermesslichkeit. Ein Psychoanalytiker bzw. eine Psychoanalytikerin bezeugt die Erfahrung, aus der die absolute Partikularität seines/ihres savoir-faire entstanden ist.
Diese Art der Autorisierung eines Psychoanalytikers ähnelt nicht der obigen Karikatur, in der »Psychoanalyse« als autoritativer Name fungiert und in dem die Identität ihrer Praktiker durch eine gegenseitige (Fehl-)Anerkennung ihrer Autorität unter anderen »identischen« Psychoanalytikern gesichert wird.
Statt eines sujet supposé savoir muss eine Schule der Psychoanalyse eine nichtexistierende Andere werden. Die ihr Angehörenden erkennen sich gegenseitig als Mitglieder einer Schule an, deren Name von jeglicher Autorität abgekratzt ist. Statt den eigenen Status als Psychoanalytiker zu sichern, schafft diese gegenseitige Anerkennung einen ethischen Pakt, in dem jedes Mitglied die anderen mitverantwortlich macht, dafür, dass das Ermangeln einer Gewährleistung in der Schule aufrechtzuerhalten die Vorbedingung für die Ausbildung eines Psychoanalytikers ist.
Diese kollektive Verantwortung setzt voraus, dass wir die Unmöglichkeit anerkennen, im Voraus die Herausbildung eines savoir-faire zu garantieren. Und die Anerkennung dieser Unmöglichkeit erfordert die Schaffung von Strukturen der Ansprache, in denen sowohl das Begehren des Psychoanalytikers demonstriert als auch dessen Abwesenheit vernommen werden kann. Tatsächlich ist das Scheitern daran, das Fehlen einer Garantie immer zu gewährleisten, die einzige »reale« Garantie!
Zum Schluss möchte ich konkret beschreiben, wie die LSP eine Struktur der Ansprache für die Demonstration des savoir-faire des Psychoanalytikers schafft.
Die LSP hat einen einzigartigen Mechanismus, um die Ausbildung des Analytikers zu auditieren. Um mit dem Psychoanalysieren unter Supervision zu beginnen, muss ein Mitglied der Schule ein »Palimpsest« durchführen. Dabei handelt es sich um eine Präsentation, die vor den Mitgliedern der Schule gehalten wird. Sie hat kein festes Format und kann jede Art von Medium oder Vortragsstil verwenden. Das Palimpsest (vom griechischen palímpsēstos, »wieder abkratzen«) hat seinen Namen von der Praxis, die beiden »Gründungsdokumente« der Schule zu überschreiben. Dabei handelt es sich um Texte, die zwei der Gründungsmitglieder 1992 verfasst haben, um ihren Wunsch zu artikulieren, eine Schule für Psychoanalyse zu gründen. Durch das Überschreiben dieser Texte wiederholt das Palimpsest den Akt der Gründung der Schule. Die Ur-Texte fungieren also nicht als verbindliches Wissen. Sie geben keine Modelle des Begehrens. Sie sind das Begehren des Anderen. Der angehende Psychoanalytiker verbindet sein Begehren mit seinem savoir-faire, das er dann wiederum zu einer Interpretation des Begehrens nach der Schule in diesen Gründungstexten in Verbindung setzt.
Mit jedem Palimpsest werden die Grundlagen der Schule neu geschrieben. Mit jedem neuen Zeugnis über die Erlebnisse des Unbewussten wird die Schule wieder gegründet. Mit jedem Durchgang durch das Palimpsest übernimmt jemand Neues die Verantwortung für die Schule, für die Ausbildung von Analytikern und für die Psychoanalyse selbst. Und das psychoanalytische Feld übernimmt die Verantwortung dafür, die Sprache des Unbewussten zu begrüßen.
Ich schließe mit dieser Passage aus meinem eigenen Palimpsest:
I ask that this School become an Other place for sustaining the passion for ignorance that psychoanalysis supports, and in exchange for my desire to take responsibility for its progress, that it function as an auditorium for hearing the unconscious in those that authorize themselves to be its auditors.
Where it, the Other school of psychoanalysis was, there must I, an analyst, become.