Was mich traurig macht ist halt zu wissen, dass ich das, was wir halt zu Toleranz und Bildung alles aufgebaut haben, dass man das halt eigentlich nicht weitergeben kann an weitere Generationen, weil halt dann der Klimawandel uns begrüßt und ähm… uns auch verabschiedet.
Wenn man die Entwicklung in den letzten 100 Jahren beobachtet, ich mein, wieviel hat sich dann in der Zeit schon verändert. Ich als Frau vor 100 Jahren. Wäre ne ganz andere Sache gewesen als ne Frau heute so. Und das gibt mir auch Hoffnung, dass das einfach - schnell sich auch viel verändern kann.1
Der Bezug auf die (individuelle und kollektive) Zukunft ist für die Adoleszenz elementar. Mögliche oder auch verschlossene Zukunftsentwürfe bilden häufig eine Weiche für die in dieser Phase eingeschlagenen psychosozialen Entfaltungswege. Jugendliche auf ihrem Weg pädagogisch zu begleiten, lässt sich daher auch als Aufgabe lesen, Zukunft zu gewähren. Das Gewähren von Zukunft sollte dabei nicht missverstanden werden als Sicherheitsversprechen, das allein Kontrollwünsche gegenüber der Unbestimmtheit von Zukunft und der Unverfügbarkeit des Anderen befeuert. Vielmehr geht es um die Verantwortungsübernahme für eine grundsätzlich offene und damit auch gestaltbare Zukunft, bzw. um die Problematisierung gesellschaftlicher Schließungsprozesse, wo sie Entfaltungsmöglichkeiten verhindern. Zukunft zu gewähren wäre dann als eine Art Geländer zu verstehen, dass glaubhaft Zutrauen in die Gestaltbarkeit des Kommenden vermitteln kann, allerdings ohne Garantie auf Erfolg. Denn als einer der drei unmöglichen Berufe (Freud) ist Pädagogik selber in der paradoxen Ausgangslage, ihr Handeln begründen zu müssen, was aufgrund der Unbestimmtheit der Zukunft und der Unverfügbarkeit des Anderen eine Unmöglichkeit darstellt,2 auch wenn dieser Umstand des Öfteren durch pädagogische Machbarkeitsphantasien verdrängt wird.
Die gegenwärtige Bedrohung der Zukunft durch Klimakrise und Artensterben ist massiv. Sie wird von Jugendlichen intensiv und als existenzielle Bedrohung erlebt, ohne dass man den Eindruck erhält, dass hierfür pädagogische Geländer von Seiten der Erwachsenengeneration zur Verfügung stehen würden. Die Erwachsenengeneration wirkt angesichts der sozial-ökologischen Krise in gewisser Weise selber pubertär. In ihrem grenzenlosen Ressourcenverbrauch wirkt sie wie getrieben von einem spätkapitalistischen Genießeimperativ,3 der Spaltung und Begrenzungen leugnet, und damit auch als »symbolische Umkehrung des Generationenverhältnisses«4 gelesen werden kann.
Angesichts dessen mag es fast schon erstaunen, dass in den obigen Zitaten dennoch hoffnungsvoll auf ältere Generationen Bezug genommen wird. Die Statements der jungen Darstellerin Mina-Giselle Rüffer alias Nora stammen aus der Jugend-Web- und Fernsehserie Druck von 2022. Sie werden ganz am Ende der letzten Staffel neben anderen Statements von Schauspieler:innen der Serie gezeigt. Betrachtet man sie aus adoleszenztheoretischer Perspektive, erscheint daran zunächst nichts Außergewöhnliches. Sie verweisen auf die für die Adoleszenz typische Spannung zwischen Individuations- und Sozialisationsprozessen, bzw. zwischen der Ablösung von den Eltern einerseits, die hier als Ablösung von ihren ökologisch zerstörerischen Arbeits- und Lebensformen präsent ist, und der Anbindung an Andere in Form einer generativen Weitergabe von Kultur andererseits.5 Rüffer/Nora bricht im ersten Zitat zunächst mit der älteren Generation, weil diese sich nicht um den Fortbestand des Errungenen zu scheren scheint und ihr damit den zukünftigen Platz innerhalb der generativen Weitergabe verweigert. Ein Wissen um das Ausgesetztsein gegenüber den destruktiven Kräften der Elterngeneration, dem Todestrieb, wird hier in melancholischer und trauernder Form zum Ausdruck gebracht. In Form eines Anknüpfens an die Errungenschaften vorheriger Generationen wird jedoch durchaus auch positiv auf das Gegebene als etwas Erreichtes Bezug genommen. Das gemeinsam Aufgebauteerscheint als etwas Bewahrenswertes, das als Erkämpftes Hoffnung spendet.
Es wäre jedoch verkürzt, die gegenwärtige Auflehnung der Jungen gegen den selbstzerstörerischen Umgang mit der Natur seitens der älteren Generationen lediglich als adoleszenten Konflikt zu interpretieren. Angesichts der Bedrohung der grundsätzlichen Offenheit jedweder Zukunft aufgrund der Zerstörung der dafür notwendigen (Über)Lebensgrundlagen, handelt es sich bei dem darin zum Ausdruck kommenden Konflikt nicht nur um einen pädagogischen, sondern auch um einen politischen Konflikt. Es geht darum, die Zukunft als potenziell Neues Ermöglichendes,6 und damit auch Ungewisses zu erhalten. Dementgegen steht aktuell das Wissen um die negativen Folgen der bisherigen Wirtschafts- und Lebensweise, das klar auf der Hand liegt, auch wenn die Ausmaße dieser Folgen selbst unbekannt sind. Die Zukunft erscheint damit nicht mehr fremd,7 sondern als etwas Wissbares, was nicht nur die Weitergabe, sondern insbesondere eben auch die Möglichkeit von Veränderung und Wandel als Horizont von Adoleszenzprozessen bedroht. Pädagogisch relevant ist dieser Konflikt daher dennoch, weil die Koordinaten der Adoleszenz selbst verschoben werden, wenn die Möglichkeit von Zukunft als Fluchthorizont der Adoleszenz nicht mehr unbedingt als gegeben erfahren wird.
Dass die Klimaanliegen politisch derzeit insbesondere von jungen Frauen in die Öffentlichkeit getragen werden, mag dabei kaum erstaunen. Das Statement der jungen Schauspielerin deutet darauf hin, dass dies nicht allein mit der immergleichen Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktion der Gattung, mit der Sorge um das Lebendige zu tun haben könnte, also adoleszenztheoretisch gesprochen auf die generative Weitergabe verweist. Sondern es geht möglicherweise auch um die Seite der Individuation, erstritten in den noch relativ jungen weiblichen Emanzipationskämpfen um Bildung und Toleranz. Für Mädchen war eine solche Phase der Individuierung lange Zeit kaum vorgesehen, die Vorbereitung auf Ehe und Mutterschaft bedurfte keinerlei Selbstfindungs- und Ablösungsprozesse. Weibliche Adoleszenz, die auf offene Zukunftsentwürfe hin ausgerichtet ist, ist daher gerade erst im Bereich des Möglichen aufgetaucht.
Es ist daher vermutlich dieses Ringen um die Offenheit der Zukunft, was derzeit von den Adoleszenten an die ältere Generation herangetragen wird, und bezüglich dessen sie die Erwachsenen an ihre Verantwortung erinnern. In diesem Sinne sollten Pädagog:innen und auch Psychoanalytiker:innen die Appelle der klimabewegten Jugend an die Erwachsenengeneration lesen. Nicht als Aufruf, eine sichere Zukunft in Krisenzeiten zu garantieren, um unmögliche Sicherheitsbedürfnisse (vermeintlich) zu befriedigen, sondern im Sinne einer Gewähr dieses Offenhaltens und einer potenziellen Gestaltbarkeit der Zukunft. Allerdings würde dies eine Beziehung zur Umwelt und zum Anderen voraussetzen, die nicht auf der Abspaltung und Ausbeutung der natürlichen und reproduktiven Voraussetzungen der eigenen Lebensgrundlagen beruht.
Mina-Giselle Rüffer alias »Nora« in der Serie Druck, Idee: Julie Andem (Bantry Bay Productions, 2018–) 8. Staffel, 10. Folge (Erstausstrahlung 1. Juli 2022). Video online <https://www.zdf.de/funk/druck-11790> [letzter Aufruf am 19.12.2023].
Michael Wimmer, Pädagogik als Wissenschaft des Unmöglichen. Bildungsphilosophische Interventionen, Paderborn 2014, Schöningh.
Tove Soiland, Marie Frühauf, Anna Hartmann, Anthologie zur postödipalen Gesellschaft, 2 Bde., Wien 2022, Turia + Kant, I: Postödipale Gesellschaft.
Fabian Kessl, Von der symbolischen Umkehrung des Generationenverhältnisses. Fridays for Future als gesellschaftliche, pädagogische und wissenschaftliche Herausforderung, in Malte Brinkmann, Markus Rieger-Ladich, Gabriele Weiß (Hg.), Generation und Weitergabe. Erziehung und Bildung zwischen Erbe und Zukunft, Weinheim 2023, Beltz Juventa, 154–167.
Vera King, Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz, Wiesbaden 2013, Springer VS.
Ebd.
Bernhard Waldenfels, Globalität, Lokalität, Digitalität. Herausforderungen der Phänomenologie, Berlin 2022, Suhrkamp.